Die Suche nach der Freiheit

15.02.2018Lauchs und Dickies

Ich finde es erstaunlich, dass man selbst mit 30 Jahren noch manchmal Eingebungen bezüglich des Lebens hat. Ich komme mir oft schon gedanklich "ausdefiniert" vor, aber wahrscheinlich denkt man das in jeder Lebensphase von sich. Nunja. Eine der Strategien, die ich vor Kurzem übernommen habe, und so trivial sie erscheinen mag, ist, meine Stärken auszuspielen.

Hintergrund

Ich bin gerade 32 geworden und gehe schon regelmäßig laufen seit ich 15 bin, also praktisch mein ganzes selbstbestimmtes Leben lang. Klar, mal hier zwei Monate nicht oder da zwei Monate mal weniger, dafür auch mal mehr oder ich bin auch mal einen Marathon gelaufen und letztes Jahr einen 10k-Lauf entlang Alaskas traumhafter Küste - im Schnitt der letzten 17 Jahre hatte ich sicher 1 bis 1,5 Laufeinheiten pro Woche.

Was mir bis vor einiger Zeit nicht mal aufgefallen war: ich bin nie besser geworden und besonders schnell war ich eh nie. Ich habe eine zeitlang Sprints eingebaut und lange meine Zeiten getrackt. Ich habe mir eine Zeit immer Geschwindigkeitsabschnitte für das Laufband zurechtgelegt, aber geändert hat sich nie etwas: meine Geschwindigkeit für die Dauer liegt bei 9km/h und mit Wettkampfsituation schaffe ich gerade so 10km/h über eine Stunde.

Dann langsam merke ich es: Ein guter Freund fängt mit dem Joggen an und läuft mit kaum Vorbereitung einen Halbmarathon mit besserer Zeit, als ich es mir je erträumen könnte. Mein Bruder läuft vor der Arbeit mal locker 20 Kilometer und Spitzensportler sind eh nochmal auf einem anderen Niveau. Wozu laufe ich eigentlich?

Talente im Sport

Was lernen wir daraus? Das Wort "Talent" gibt es nicht umsonst, das Konzept ist real: Menschen sind unterschiedlich und jeder hat seine Stärken und Schwächen. Gerade beim Sport ist es ja sehr sichtbar, denn die Lauchs unter uns sind geborene Ausdauerläufer, beim Laufen oder auch Radfahren zählen geringes Gewicht. Auf der Weltbestenliste des Marathonlaufs sind die ganzen Top 30 aus Kenia und Äthiopien und haben in etwa die selbe Statur, klein und drahtig:

Der geborene Lauch, Marathon-Weltrekordhalter
Bild © Ingo Franke

Auf der anderen Seite dann die, die eher im Armdrücken gewinnen. Die sind deutlich breiter, die Dickies; der aktuelle Strongman-Weltmeister macht Kniebeuge mit zusätzlichen 425kg auf den Schultern, das schafft der Kenianer oben nicht.

Dickies beim Heben von Sachen


So weit, so gut, alles nichts neues. Nur: Ich bin von der Statur eher ein Dickie, also mehr geeignet um Eisen zu stemmen und nicht vierzig Kilometer am Stück zu laufen und eigentlich weiß ich das auch schon sehr lange und trotzdem war immer Laufen mein einziger wirklicher Sport.

Also: Laufen stelle ich nun seit ein paar Monaten hintenan und stähle mich zweimal pro Woche im Gym - auf zu den 425kg-Kniebeugen 💪👀

Implikationen

Klar, Joggen ist gesund, aber ich habe über 15 Jahre meines Lebens genau entgegen meines Talents gearbeitet. Nachdem ich mir das dann für mich mal so explizit ausformuliert hatte, lag ich dann aber auch die nächsten paar Nächte wach und habe überlegt, ob man das genauso in anderen Aspekten des Lebens handhabt - also etwas praktiziert, in dem man von Haus aus untauglich ist und Chancen liegen lässt, weil man seine Stärken nicht kennt oder wahrnimmt?

Wie viele Menschen sind im falschen Job gefangen, weil sie eigentlich gute Bäcker oder Verkäufer sind und es nur nicht wissen? Ein guter Freund von mir hat mit Ende 20 seine Leidenschaft für's Programmieren entdeckt, nachdem er vorher hauptsächlich Telefonsupport gemacht hat. Ich persönlich denke auch, dass Elon Musk zwar natürlich klug ist, aber sonst gar nicht so anders als wir alle anderen auch. Seine ganzen Unternehmen und wie er die Welt mit Tesla und SpaceX voran bringt - ich denke, er hat einfach in seinem Leben gefunden, wie er sich effektiv einbringt, wie er seine Stärken hebelt und damit nun (fast) Berge versetzt.

Wie viel Elon steckt in jedem von uns? Wer langweiligt sich nicht an der Arbeit und ist unterfordert? Man bräuchte wahrscheinlich so eine Art Human Resources-Abteilung für das reale Leben, die sich darum kümmern, dass man sich weiterentwickelt und seine Stärken in die Welt einbringt.
Denn was ist mit einem selbst? Ist man geborener Leader, Connector, einsamer Wolf, Zuarbeiter oder Arbeitstier? Welche Talente schlummern in einem, was ist möglich und in was braucht man sich gar nicht erst reinhängen? In der Schule probiert man immerhin einige Fächer aus, wobei Vieles auch am Lehrer liegt. In der Freizeit testet man ein paar Hobbies und entscheidet sich später für Studienrichtung und Beruf. Was aber ist mit den Softskills und weiteren Vertiefungen? Ich habe das Gefühl, da rutscht man halt mit Glück rein oder auch nicht.

Wie kann man das selbst vernünftig steuern? Einfach nur viel reflektieren und sich mit Freunden austauschen? Hrmpf.

Weiter

Eine der inspirierendsten Menschen die ich getroffen habe, war Nabila, die Leiterin eines Coworking-Spaces in Bangladesh. Sie war Ende 20 und neben dem Coworking hatte sie mit einer Freundin ein Architekturbüro mit mehreren Mitarbeitern aufgebaut. Das eigene Business ist für sie dabei nur das Sprungbrett, um mit dem Einfluss, den Beziehungen und dem hohen, festen Einkommen in die Politik zu gehen und Premierministerin Bangladeschs zu werden - wow. Das verrückte war, dass es gar nicht verrückt schien, denn sie war intelligent, hat gezeigt, dass sie sich schon etwas aufgebaut hatte und war bestimmt in ihrer Art.

Was alles möglich ist! Sich selbst kennen, Stärken ausspielen, reinklotzen.

Vielleicht ist es auch die deutsche Kultur, die einen zurückhält? Möglichst Mittelmaß sein und nicht herausstechen. Gefördert werden Schwache und Schwächen und heraus kommt ein ausgeglichenes, glattes Gesamtbild, dafür aber auch ohne Spitzen.

So oder so - ob Lauch oder Dickie, es ist wichtig die eigenen Stärken kennenzulernen und auszuspielen. Die richtige Vorgehensweise dazu habe ich auch (noch) nicht, aber Problembewusstsein ist ja immer der Anfang. Und jetzt gehe ich erstmal Kniebeuge machen!

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