Die Suche nach der Freiheit

28.05.20211 Jahr im Großkonzern in Bangkok

Manchmal braucht man eine Weile um Dinge zu verarbeiten und bezüglich meines letzten Jobs war es definitiv so. Ich war von Herbst 2019 bis Herbst 2020 in Bangkok bei einem super modernen Großkonzern angestellt und es war eine irre spannende und interessante Zeit. Hier meine gesammelten Gedanken dazu.

Der Anfang: Neugier und großes Gehalt

Ich hatte schon ein ganzes Jahr in Bangkok gelebt und liebe diese Stadt ja - hier gibt's mit die besten Restaurants der Welt, die fancy Rooftop-Bars, die coolen Secret Bars, es hat immer 30°C, man wohnt im 40. Stock mit Blick über die Stadt und hat Pool und Gym im Haus, und obendrein kommt man innerhalb von zwei Stunden an einen schönen Sandstrand, wo man dann mit Cocktail und Kokosnuss am Meer liegt.

Ich hatte da noch für das Frankfurter Versicherungsstartup gearbeitet, remote natürlich und saß dafür immer in einem Coworking-Space im Zentrum von Bangkok. Alles war okay, ich hatte immer viele Dates, aber außer ein paar Bekannten hatte ich in der Stadt auch nicht viel Anschluss gefunden. Von meinem Gehalt hatte ich immer viel in Aktienfonds gesteckt, aber wenn man Bangkok so richtig genießt, gibt man hier auch 2.000€ pro Monat aus. Der Durchschnittslohn beträgt zwar nur rund 700€ und man kann mit sehr wenig Geld auskommen, aber mit den ganzen Kurztrips, teuren Restaurants und Bars, den ganzen Dates (die Mädels haben ja auch nie Geld) usw leert sich das Portmaine natürlich schnell.

Dadurch kam ich mir öfter vor, als hätte ich nur beschränkte Mittel, obwohl ich ja trotzdem noch viel gespart hatte. Als ich einem sehr guten Freund dann mal erzählt hatte, dass ich gerne mal in Bangkok auf großem Fuß leben würde, meinte er, dass Großkonzerne hier Westlern ziemlich gute Gehälter zahlen würden. Und er hatte einen Kontakt nach ganz oben bei der Firma True Digital, einem Digital-Ableger eines großen Telekommunikationsanbieters.

Ich hab etwas hin- und her überlegt, aber abseits vom Geld könnte man dort bestimmt auch neue Freunde finden und ich fande ich auch die Möglichkeit spannend, mal in einem großen Konzern zu arbeiten. Ich kannte nur die Klischees der Dilbert-Comics, dass alles langsam, zäh und bürokratisch ist - keine Ahnung, bisher hatte ich nur in Startups und einmal in Südafrika in einem mittelgroßen Unternehmen gearbeitet. Tja, dann kam der Kontakt zustande (danke Manu!), es gab ein paar Interview-Runden, die Gehaltsverhandlung, habe den Versicherungs-Job gekündigt und schon war ich drin!

Der neue Alltag: Modernes Büro und super nette Kollegen

Ich bin ein riesiger Fan von modernen Großraumbüros, Google hat es ja vorgemacht in der Tech-Welt. Mein neues Unternehmen hatte es nachgemacht und extra einen entsprechenden Komplex errichten lassen, 22 Stockwerke, mit Restaurants und Shopping in den ersten drei Etagen, das mit Abstand modernste Fitnessstudio das ich je gesehen hab und tollen Cafés im Außenbereich. Unsere Büros waren im 9.-13. Stock mit hohen, offenen, hellen Räumen mit exponierten Installationen und großen Glasfronten mit Blick über die Stadt. Auf jeder Etage gab es Community-Bereiche mit Sofas und Sitznischen, eine gute Kaffeemaschine und gekühltes Wasser mit darin eingelegten Früchten. Die Schreibtische geräumig aber beieinander, zum telefonieren konnte man sich in kleine Kabinen abgrenzen. Die Meetingräume transparent vollverglast, hier sollte es keine Hinterzimmerabsprachen geben.

Die Kollegen haben mir sofort gefallen, alle rund 22-35 Jahre jung, locker, entspannt, voller Tatendrang, insgesamt waren wir etwa 1000 Leute. Vorher hatte ich Sorgen, ob Überstunden erwartet würden, aber um 9 Uhr war ich immer einer der ersten im Büro und um 18 Uhr einer der letzten, der ging... Also irre entspannt! Die Atmosphäre war immer super positiv, freundlich, höflich und ohne Druck, niemand wurde je laut und Schreien oder aggresives Reden war undenkbar.

Im Büro mit Kollegen

Das Gehalt war natürlich einfach geil. 7.000€ netto pro Monat, so viel hatte ich noch nie verdient. Man sagt ja, Geld macht ab einem bestimmten Punkt nicht mehr glücklich, aber der Punkt muss noch deutlich weiter oben sein, weil mich hat es sehr glücklich gemacht 🤑. Es hat ja nicht einmal meine direkte Lebensqualität verbessert, weil ich bin nicht in eine doppelt so große Wohnung gezogen oder Ähnliches, das Geld ist allergrößtenteils einfach auf dem Bankkonto gelandet. Klar, ich war erst einmal dick Hemden und Hosen shoppen, aber obwohl ich "auf großem Fuß" leben wollte hab ich trotzdem nicht mehr ausgegeben als vorher - wofür auch, zurückgehalten hatte ich mich eh nie. Was sich aber geändert hat war natürlich das Empfinden bezüglich Geld. Denn selbst wenn man in einer wilden Nacht mal 500€ verfeiert, hat man das nach zwei Tagen arbeiten ja schon wieder drin; vorher hatte ich stattdessen ein schlechtes Gewissen! Auch viele andere Kosten relativieren sich, denn wenn man überlegt sich einen Neuwagen für 30.000€ zu kaufen, spart man halt ein halbes Jahr und hat ihn schon. Alle Ausgaben unter 1.000€ wurden irrelevant. Man versucht ja oft, sich von gesellschaftlichem Einfluss frei zu machen, aber das Gehalt hat mir auch starkes Selbstbewusstsein gegeben. Einer der Topverdiener im Land (Thailand) zu sein ist eben eine hohe gesellschaftliche Stellung, auch wenn es nur im eigenen Kopf ist.

Das Arbeiten an sich war.. interessant.. Ich hatte eine coole Stelle als "Enterprise Architect", mein Team hatte immer verschiedene Projekte um Technologien im Unternehmen zu bestimmen, zu verbessern oder zu vereinheitlichen. Und noch eine Menge anderer Dinge, die so zwischendurch angefallen sind. Das Tolle war, dass ich dadurch mit den meisten Teams im Unternehmen interagiert habe, meist dabei mit den Team-Leads. Die Kooperation und Koordination mit den ganzen super netten Kollegen war unglaublich belohnend. Oft hab ich das Büro nach Feierabend überglücklich und hochzufrieden verlassen und war so dankbar, dass ich hier arbeiten durfte.

Leider gab es aber auch einige Frustrationen. Teilweise war es kulturell, z.B. musste ich erst herausfinden, dass die Thai-Kollegen nie mit "nein" antworten und wenn man per E-Mail eine Frage stellt, gibt es dann einfach wochenlang gar keine Antwort, selbst bei Nachfragen. Also muss man geschickt formulieren oder braucht eben das persönliche Gespräch. Einmal bin ich auch in eine politische Reiberei hineingeraten. Und Vieles im Unternehmen ging auch nur seeehr langsam und zäh voran. Bemerkbar war das vor allem, wenn wir mit anderen, kleineren, Unternehmen zusammengearbeitet hatten. Hier hatte ich oft die Koordination gemanagt und selbst einfache Fragen von denen an uns haben manchmal Monate bis zur Antwort gebraucht weil unsere Seite erst ordentlich diskutieren wollte. Immer 20 Adressen im E-Mail CC und typisch Meetings über Meetings und die meisten davon fühlten sich zeitverschwendend an - andererseits ist es natürlich auch schwierig zu arrangieren, dass 1.000 Leute gut zusammenarbeiten. Und wenn dann mal etwas entschieden war, ging die Umsetzung dann oft auch schnell voran, wie ein mächtiger Tanker eben, der nur langsam und träge die Richtung anpassen kann.

Etwa ein halbes Jahr nach meinem Start gab es auch eine irre Unternehmensfeier. Wir hatten eine ganze Etage im Marriot Hotel, es gab lustiges Programm und Vorführungen von Teams und natürlich super viel Bier, dann sogar noch ein ganzes Konzert einer bekannten Thai-Band. Das Ganze war so locker und fröhlich, die netten Kollegen, die tolle Band, das war einer der schönsten Tage meines Lebens, ich hatte mich so aufgehoben gefühlt.

Dann kam die Pandemie. Wir wurden relativ schnell Alle auf Home-Office umgestellt und gefühlt ein Drittel aller Kollegen war plötzlich kaum noch erreichbar. Viele Projekte sind auf Kriechgeschwindigkeit gefallen und man hat die Kollegen nicht mehr gesehen. Unser Team wurde (für wenn wieder im Büro) in einen anderen Stock verlegt, weg von den adretten Mädels-Teams direkt zwischen die Männer-Nerd-Teams. Auch der jährliche Bonus fiel ziemlich klein aus und es hieß, das Geld sitzt nicht mehr so locker. Ein Karriereaufstieg lange nicht in Sicht. Mit meinem direkten Chef konnte ich von Anfang an nicht gut reden, das hat sich in der Zeit nur verschärft. Mir wurde auch bewusst wie wenig Urlaub ich habe, denn ich wollte schon gerne 2x/Jahr nach Deutschland zu Freunden und Familie, plus man will ja auch etwas in Asien reisen, ab und an. Aber mit 12 Tagen Urlaub im Jahr reicht das ja hinten und vorne nicht. Dann hab ich auch bezüglich des Gehalts gerechnet: selbst mit so viel Geld muss man 15 Jahre sparen bis zur ersten Million, uff. Die eigenen Projekte hatten mich auch nicht losgelassen, auch weil ich da gefühlt richtig viel "tue", während im Konzern die Monate verflogen, ohne dass ich das Gefühl hatte, groß etwas beigetragen zu haben. Zu guter Letzt hatte ich noch das Gefühl, in Bangkok im Persönlichen nicht voran gekommen zu sein - keine richtigen Hobbies, trotz vieler Dates keine feste Partnerin und groß Freundschaften gefunden auch nicht 🤔

Tjaaaaa, eine Entscheidung musste her, für oder gegen Karriere machen in Südostasien. Schlussendlich war ausschlaggebend dass ich miterleben will wie meine Eltern alt und meine Neffen und Nichten älter werden, plus ich wollte auf keinen Fall meine paar richtig guten Freundschaften in Deutschland verlieren.

Und weiter geht's

Der Abschied von der Firma war super nett. Im hektischen Alltag merkt man ja manchmal nicht, wenn man Menschen etwas bedeutet, aber das allgemeine Bedauern schien groß, das hat sich natürlich gut angefühlt 🥺

Abschiedsfeier mit meinem Team plus Deputy CTO

Das Arbeitsvisum erlaubt nur noch 30 Tage Aufenthalt nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses, aber ich wollte eh für ein paar Monate nach Deutschland - die Hochzeit und das Baby der Schwester standen an, plus der Bruder hatte auch noch ein frisches 👶

Der neue Plan war und ist, nun den großen Anlauf für das eigene Projekt zu starten. Jetzt oder nie. Und dabei halbjährlich in Deutschland (die schönen Sommer!) und in den Tropen (Thailand? jedenfalls Palmen!) zu leben.

Fazit

In dem einen Jahr hatte ich so viel gelernt wie lange nicht mehr, dadurch, dass die Arbeit im Großkonzern so neu war. Ich meine, so irre groß sind 1.000 Mitarbeiter ja auch nicht, aber viel Konzern-heit und Politik war auch vom Mutterunternehmen durchgesickert. Und es war nicht nur eine interessante und lehrreiche Zeit, sondern auch eine der glücklichsten und schönsten meines Lebens - auch wenn es schlussendlich doch nicht gepasst hat.

Ich denke immer noch manchmal wehmütig zurück, auch wenn die neuen Entwicklungen im Unternehmen die Atmosphäre dort wohl stark getrübt haben. Und ich weiß auch, dass nicht alles rosig war, wie irgendwelche Politik-Geschichten im Unternehmen oder die fehlende Flexibilität.

Ich kann mir durchaus vorstellen, irgendwann noch einmal in einem Großunternehmen zu arbeiten. Solange die Leute dort stimmen und man dort auch Gestaltungsfreiheit hat, kann es sehr schön sein, so eingebettet, behütet, gut bezahlt und mit viel Hebelwirkung für die eigenen Entscheidungen!

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